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Эко-МосТТы - Brücken zum Klimadialog

Projektinformation

Im Jahr 2020 wird die Bildungskooperation für ein Projekt mit ökologischem Schwerpunkt genutzt. Unter dem Motto „Brücken zum Klima-Dialog“ fliegt im März eine Gruppe aus Schülerinnen und Schülern der Gyula Trebitsch Schule Tonndorf für 10 Tage nach Jakutsk, um sich gemeinsam mit Schülern der Partnerschule mit den Themen Umwelt, Klima und Energie in der Permafrost-Region zu beschäftigen. Im Rahmen der Projektarbeit werden verschiedene Einrichtungen in Jakutsk und Umgebung besucht. Darüber hinaus gibt es auch einen Einblick in die Geschichte und Kultur Jakutiens und ein Erleben der besonderen klimatischen Verhältnisse bei Temperaturen bis -30 °C. In diesem Blog werden tagesaktuelle Berichte zu dem Projekt veröffentlicht. Die Reise beginnt am 25.2. mit einer Fahrt nach Berlin. Dort wird die Gruppe unter anderem im Bundestag mit einer Umweltexpertin eine Partei Fragen zum Klimawandel diskutieren. Am 26.2. fliegt die Gruppe dann von Berlin über Moskau nach Jakutsk. Ankunft in Jakutsk ist Donnerstag, der 27.02. morgens um 07:00 Uhr Ortszeit. 

Tag 1: Frühlingserwachen in der Hauptstadt

Die Hauptstadt begrüßt uns mit blauem Himmel und Sonnenschein. Nach tagelangem Regen und Sturm in Hamburg eine wahre Wohltat. Bevor wir in den Permafrost der Stadt Jakutsk aufbrechen, erleben wir erste Anzeichen von Frühling. Nach einem kurzen Abstecher zum Brandenburger Tor mit einem obligatorischen Fotoshooting bei Sonnenuntergang begeben wir uns in den Reichstag. Bei dem Kuppelrundgang blicken wir auf das abendliche Berlin mit Mondsichel und vielen Farben. Der Vortragende auf der Besuchertribüne im Bundestag führt uns auf interessante und zum Teil auch humorvolle Art in die Besonderheiten und Regeln der Sitzordnung und Regelungen im Bundestag ein. Im Anschluss haben wir noch ein Gespräch mit einem Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke. Neben Fragen zur Klimapolitik geht es auch um das deutsch-russische Verhältnis. Wir sind uns einig, dass Brücken bauen und im Dialog bleiben die zentralen friedenserhaltenden Maßnahmen sind. Mit der S-Bahn fahren wir zum Hotel Meininger am Flughafen. Am nächsten Tag geht es dann morgens über Moskau nach Jakutsk. Ankunft voraussichtlich am 27.02. um 07:00 Uhr Ortszeit. Dann wird uns der jakutische Frühling mit ca. -25°C begrüßen.

Tag 2: Ankunft in Jakutsk - Frühjahrsmüdikeit bei -15°C

Auf der mit nassem Schnee bedeckten Landebahn am Flughafen Sheremetjewo in Moskau wäre unsere Boeing 737 800 fast über die Landebahn gerutscht. Ansonsten verläuft der 2. Abschnitt unserer Anreise in den Permafrost problemlos. Der neue hochmoderne Terminal C des Moskauer Flughafens ist zum Teil menschenleer. Erst im benachbarten Terminal B wird einem Gewahr, dass man sich auf dem größten Flughafen Russlands befindet. Pünktlich um 18:00 Uhr Ortszeit starten wir zur letzten Etappe, immer der Sonne entgegen, über den Ural, in den asiatischen Teil des Riesenreiches. An Schlaf ist aufgrund der beengten Sitzverhältnisse kaum zu denken. Die Stimmung bleibt trotzdem gut und um 07:00 Uhr kommen wir im verschneiten und „nur“ -15°C kalten Jakutsk mit all unseren Koffern an. Angesichts der „milden“ Temperaturen zeigen sich einige Teilnehmende etwas enttäuscht, wir sind doch schließlich in der kältesten Stadt der Welt. Die herzliche Begrüßung mit Kumys (gegorene Stutenmilch) und Oladuschki (kleine russische Pfannkuchen) lässt die Enttäuschung schnell vergessen. Schließlich erfahren wir, dass das Wetter speziell für unsere Ankunft bestellt worden ist. Die Gastfreundschaft der Jakuten kennt keine Grenzen. Nach der Aufteilung auf die Gastfamilien, einigen organisatorischen Hinweisen und dem obligatorischen Gruppenfoto machen sich alle auf den Weg nach Hause. Die Müdigkeit ist allen anzusehen, schließlich ist es in Hamburg gerade 23:00 Uhr und somit Schlafenszeit. Jakutsk ist von flauschigem Pulverschnee bedeckt, der insbesondere an den kargen Bäumen bizarre Bilder entstehen lässt. Bis zum Nachmittag steht erstmal Erholung von der Anreise auf dem Programm. 

Während die Schülerinnen und Schüler etwas Schlaf nachholen, gehe ich mit der Schulleiterin zu einer Ausstellung, auf der sich die 5 von insgesamt 50 Schulen aus Jakutsk präsentieren, an denen die jakutische Sprache und Kultur unterrichtet wird. Das Sacha-Gymnasium gehört auch zu diesem exklusiven Kreis. Nach einer Eröffnung mit traditionellen Tänzen und dem Spiel auf der Maultrommel, zeigen die Schulen an verschiedenen Ständen ihre besonderen, der jakutischen Sprache, Kultur und Tradition gewidmeten Projekte und Unterrichtsvorhaben. Um 17:00 Uhr treffen sich alle zum „Republikanischen Ball der Modelisten“ (wörtliche Übersetzung) am Sacha-Gymnasium. Mit 6 anderen Schulen aus Jakutien hat das Gymnasium an einem Modellprojekt der Vereinten Nationen teilgenommen. Die einzelnen Arbeitsgruppen der Schulen sind nun zum Abschlussball geladen. Neben Reden, musikalischen und Tanzvorführungen wurden auch Urkunden für die besten Teilnehmenden überreicht. Ein feierlicher und eindrucksvoller Abschluss des ersten Tages in Jakutsk. Die Verständigung zwischen den Austauschpartnern klappt schon ganz gut. Zum Teil werden noch Pläne für den Abend abgestimmt. Das abendliche Jakutsk mit dem leuchtenden Pulverschnee lässt einen die grauen, regnerischen und stürmischen Tage in Hamburg schnell vergessen. 

Tag 3: Bildung in Jakutsk - zwischen Tradition und High Tech

Nach den ersten Unterrichtsbesuchen werden wir im Saal des Sacha-Gymnasiums feierlich begrüßt. Schülerinnen und Schüler der 3.-5. Klasse in traditioneller jakutischer Kleidung führen regionale Tänze auf und setzen uns mit dem Spiel auf der Maultrommel in Erstaunen. Alle Schüler des Sacha-Gymnasiums lernen das virtuose Spiel auf dem jakutischen Instrument, das eigentlich nur aus einem Eisenkörper und einer Metallzunge besteht. Um so überraschender ist die Vielfalt der Töne, die mit besonderer Atemtechnik und mit Zungenbewegung erzeugt werden. Wir werden in den kommenden Tagen auch Maultrommelunterricht erleben. Es gehört zur besonderen Ausrichtung des Gymnasiums, dass die Schülerinnen und Schüler die jakutischen Bräuche, die Geschichte, Sprache und Literatur Jakutiens lernen. Von Klasse 1-4 wird alles auf Jakutisch unterrichtet, ab Klasse 5 dann auf Russisch. Jakutisch bleibt Unterrichtsfach. Als Fremdsprachen werden Deutsch und Englisch angeboten. Die Sprachenvielfalt unserer Gruppe zeigt sich bei der kurzen Vorstellung, die auf Deutsch, Englisch, Russisch, Türkisch, Spanisch, Französisch und einer afrikanischen Sprache erfolgt. 

Der Kontrast zu alten Bräuchen und Traditionen zeigt sich dann im Schülerlabor „Quantorium“, das wir am Nachmittag besuchen. An über 100 Orten Russlands wurden derartige Labore eingerichtet, um die Jugend an Technik, Wissenschaft und Innovation heranzuführen. Das Quantorium in Jakutsk ist mit modernsten Computern, 3D-Druckern und weiteren digitalen Medien im Wert von über 80 Millionen Rubel hervorragend ausgestattet. Die Labore haben verschiedenen thematische Schwerpunkte. Je nach Interesse können die Schüler wählen zwischen Programmierung, Robotertechnologie, Astronomie und Satellitentechnik, Geowissenschaften, Neurowissenschaften und Energietechnik. Neben dem Erlenen von Programmiersprachen und grundlegenden Techniken arbeiten die Schülerinnen und Schüler dort eigenständig und projektorientiert. Sie können eigene innovative Ideen umsetzen, die zum Beispiel für die Region Jakutsk von besonderer Bedeutung sind. Die Projekte werden dann auf regionalen, überregionalen und zum Teil auch internationalen Wettbewerben präsentiert. Von der Programmierung, der Modellierung am Computer, der Herstellung eines Prototyps am 3d-Drucker und dem Bau eines echten, funktionsfähigen Apparates können alle Schritte durchlaufen werden. Die Labore und Werkstätten werden von Ingenieuren und pädagogischem Personal geleitet. Der Besuch dieser außerschulischen Lernorte ist kostenlos. Ein Schüler unserer Gruppe fragt mich, warum wir derart ausgestattete Schülerlabore nicht in Hamburg haben. Ich habe keine Antwort. 

 

Nach einer Führung durch alle Labore erhalten wir dann im Labor für Energietechnik selbst noch die Möglichkeit, alternative Energieformen wie Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik, Thermoelemente, Wind- und Solarenergie zu erproben. Angesichts des Klimawandels macht man sich auch in Jakutien auf die Suche nach neuen, erneuerbaren Energiequellen. Eine Schülerin, die im Sommer mit ihren Eltern ca. 2000km von Jakutsk entfernt in einer Ansiedlung in der Taiga lebt, wo es keinen Stromanschluss gibt, hat im Modell eine besondere Dachform und eine Art Treibhaus entwickelt und gebaut, mit dem in der Ansiedlung eine Art Mikroklima erzeugt werden kann. Das Modell wird sie im April auf einem Wettbewerb in Südkorea präsentieren. Ein anderer Schüler hat ein Fluggerät mit Wasserstoffantrieb gebaut. Damit wird er im März in Moskau auftreten. 

Der Klimawandel zeigt sich an diesem Tag durch für die Jahreszeit ungewöhnlich warme Temperaturen von nur -11°C. In der Stadt beginnt man bereits damit, den Schnee zu räumen, damit es bei der voraussichtlich im April beginnenden Tauwetterperiode nicht zu Überschwemmungen kommt. Originelle Garagen und Eisskulpturen sorgen in unserer Gruppe immer wieder für Erstaunen.

Tag 4: Kälte auf der Straße, Wärme und Annäherung durch Bewegung

Der Klimawandel pausiert. Der Schulweg bei strahlend blauem Himmel mit -27°C erwärmt das Herz. Das knirschende Geräusch der Autoreifen auf den zum Teil spiegelglatten Straßen verleiht Jakutsk mit seinen ca. 300.000 Einwohnern eine besondere Atmosphäre. Die letzten Meter vor einer roten Ampel werden meistens rutschend zurückgelegt. Die Autofahrer haben die Situation aber meist im Griff. Nach kurzer Zeit ist der Fellkragen vom Ausatmen weiß gefroren, das Einatmen durch die Nase lässt die kleinen Härchen gefrieren. Wie muss es sich erst bei -50°C anfühlen? Die Schulleiterin, die mich auf dem Schulweg begleitet, sagt, dass sie diesen Winter immer ohne Mütze, nur mit Kapuze zur Schule gegangen ist. Ein Anzeichen für die globale Erwärmung? 

Das Verhalten der jakutischen Schülerinnen und Schüler im Unterricht ist für die Teilnehmenden gewöhnungsbedürftig. „Die Schüler starren nur auf ihre Handys, Mädchen schminken sich, es werden Privatgespräche geführt“ – wundert sich eine deutsche Schülerin. Die Lehrkräfte scheint es nicht sonderlich zu stören. Dafür gibt es jeden Tag besondere außerunterrichtliche Veranstaltungen, Wettbewerbe und Präsentationen. Das Lernen verläuft eben anders. Eine kurze Feedback-Runde offenbart noch Probleme und Missverständnisse zwischen Gastgebern und Gästen. Es gibt Lösungsansätze, einiges muss aber auch einfach ausgehalten und toleriert werden. Das gehört zur interkulturellen Kompetenz. 

Nach dem Essen findet in der Sporthalle ein Sportwettkampf statt. Neben einer Gruppe vom Sacha-Gymnasium und unserer Gruppe ist eine weitere Gruppe einer anderen Schule eingeladen. Für den Wettkampf werden alle Teilnehmer gemischt in 3 Gruppen aufgeteilt. Dann folgt eine Art Staffellauf mit unterschiedlichen Aufgaben. Nach jeder Disziplin wird die Platzierung notiert. Im letzten Durchgang müssen 3 Stationen mit unterschiedlichen individuellen Aufgaben durchlaufen werden. Dann folgt ein typisch jakutisches Mannschaftsspiel, ähnlich dem Rugby. Ein Fellstück muss auf der gegnerischen Seite auf ein auf dem Boden ausgebreitetes Tuch gelegt werden. Es wird um jeden Zentimeter fair gekämpft. Am Ende des Sportwettkampfes werden alle Punkte addiert und es folgt eine Siegerehrung. Sport verbindet und löst Sprachbarrieren auf. Alle Teilnehmenden waren engagiert dabei haben ihr Team unterstützt, unabhängig von Schule, Herkunft und Nationalität. Der abschließende jakutische „Energietanz“ (eigene Wortschöpfung), bei dem sich alle an die Hände fassen und bei jakutischem Gesang im Kreis tanzen, stellt einen guten Übergang zum nächsten Programmpunkt her.

Eine schnell organisierte Schuldisco beendet diesen bewegungsreichen Tag. Die Fenster in der Aula sind abgedunkelt, die Musik geht an und schon sind fast alle jakutischen Schülerinnen und Schüler auf der Tanzfläche. Die Hamburger Gäste zieren sich noch etwas, doch spätestens bei dem ersten international bekannten Lied lassen auch sie sich von dem Takt zu rhythmischen Bewegungen verleiten. Einige anfängliche Berührungsängste lösen sich langsam auf. Obwohl es auf der Straße heute wieder kälter war, taut das Eis zwischen Gästen und Gastgebern langsam auf. Wir haben ja auch noch einige Tage und Erlebnisse vor uns. 

Tag 5: Permafrost macht Spaß - Auf der Eisautobahn über die Lena, mit Hundeschlitten durch den Schnee und Schaschlik im Eisstädtchen

Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um -20°C stehen heute Familienausflüge in die Umgebung von Jakutsk auf dem Programm. Das besondere Klima mit der langen Winterzeit und Temperaturen bis unter -50°C bringt eine Reihe von Besonderheiten und Attraktionen hervor, von denen einige im Folgenden kurz vorgestellt werden.

 

Tiere Jakutiens - Pelz und Fell für kalte Tage

Bei Temperaturen unter -30°C wärmt Pelz- und Fellkleidung am besten. In einem Geschäft am Rande von Jakutsk werden sämtliche für Kleidung verwendete Tiere gezeigt und entsprechende Kleidung verkauft. Neben Wölfen, Bären und Füchsen findet man auch Zobel. 

Familienausflug in Schnee und Eis

Auf der der Lena abgewandten Seite von Jakutsk befindet sich eine ca. 200m hohe Hügelkette, mit kleinen Skigebieten, die zum Ski-oder Snowboardfahren einladen. Am Fuße der Hügel gibt es verschiedene Ausflugsziele, wo man z.B. mit dem Hunde- oder Rentierschlitten fahren kann. Nach den sicher etwas anstrengenden und auch gewöhnungsbedürftigen ersten Tagen bricht bei diesen Erlebnissen das Eis und das Herz geht auf. Jetzt sind alle in Jakutien angekommen.

 

Auf der Eisautobahn über die Lena

Jakutsk liegt an einem der größten Flüsse der Erde, der ca. 4300km langen und in der Umgebung von Jakutsk bis zu 30km breiten Lena. Sie entspringt im Baikal-Gebirge und mündet im Rahmen des Lena-Deltas im Nordpolarmeer. Jakutsk wir durch die Lena in 2 Teile geteilt und es gibt bis heute keine Brücke über den Fluss. Im Winter ersetzt das bis zu 2m dicke Eis auf der Lena die Brücke. An vielen Stellen winden sich 2 bis 4-spurige Eisautobahnen über den Fluss. Nachdem die Lena Ende Oktober komplett zugefroren ist, werden die Trassen geglättet und im November für den Verkehr freigegeben. Der gesamte Personen- und Güterverkehr mit bis zu 40t schweren Lkw´s verläuft nun bis April über die Eisautobahnen. In den Sommermonaten übernehmen Fähren den Transport der Fahrzeuge. An der schmalsten Stelle der Lena, ca. 20km vor der Stadt, ist schon seit mehreren Jahren eine Brücke geplant. Die Finanzierung soll nun gesichert sein, der Baubeginn steht unmittelbar bevor. Bei der Überfahrt über die Lena halten wir mitten auf dem Fluss und legen einen „Sonnenkreis“ aus kleinen Pfannkuchstückchen in den Schnee, die dann mit gegorener Stutenmilch übergossen werden. Dieses Ritual stimmt die Götter der oberen Welt und die Lena froh und wir bitten um das Wohl unserer Verwandten und des Austauschprojektes. 

Von der Eisbahn zur Eisenbahn - Jakutsk ist an das Schienennetz angebunden

Am gegenüberliegenden Lena-Ufer des Stadtkerns von Jakutsk liegt die Siedlung Nischni Bestjach. Da sich auf dieser Seite der Lena der erst 2019 eröffnete Bahnhof und damit die Anbindung an die Route der Transsibirischen Eisenbahn befindet, kommen viele Waren hier an und sind in den Geschäften günstiger als im Zentrum von Jakutsk. Es gibt Überlegungen, das Zentrum der Stadt auf diese Seite der Lena zu verlegen, auch weil die Seite höher gelegen und somit nicht der Gefahr von Überschwemmungen ausgesetzt ist. Der Fahrplan im Bahnhofsgebäude ist überschaubar. Es fährt ein Zug in die ca. 1000km entfernte Stadt Nerjungri. Die Fahrtzeit beträgt 18 Stunden, durch eindrucksvolle Landschaften. Auf einen Zug aus Hamburg muss lange warten. Die Fahrtzeit beträgt mehr als 1,5 Wochen. Da kann man sich im wohltemperierten Warteraum erstmal schlafen legen.

Das Eisstädtchen am Abend

Am Stadtufer der Lena wir im November ein Eispark aufgebaut, der ähnlich einem Jahrmarkt mit verschiedenen Attraktionen begeistert. Neben künstlerisch angefertigten Eis- und Schneeskulpturen können die Besucher lange Eisrutschen runtergleiten, Schlittschuhfahren, sich in Eismulden vergnügen oder sich von Rentieren auf Schlitten oder Motorschlitten auf Gummi-Bananen ziehen lassen. Ein würziges Schaschlik schmeckt auch bei -30°C und zum Aufwärmen gibt es kleine Hütten mit warmen Getränken. Permafrost mach erfinderisch. So lassen sich die kalten Wintermonate aushalten. 

Tag 6: Exkursion zur Inklusion – Stadtrundgang und Besuch beim inklusiven Theater „Algys“

Es ist Montag, der 2. März., der erste Ferientag in Hamburg. Um keinen Wehmut aufkommen zu lassen, steht für die Hamburger Schülerinnen und Schüler heute Vormittag anstelle von Unterricht ein Rundgang im Zentrum von Jakutsk auf dem Programm. Jakutsk ist mit ca. 320.000 Einwohnern die Hauptstadt der Teilrepublik Sacha (Jakutien). Die Mehrheit der Bevölkerung gehört zur Gruppe der Jakuten, die zweitgrößte Gruppe ist russischstämmig. In der kältesten Großstadt der Welt lacht die Sonne heute morgen bei -25°C. Einige Schüler lassen sich zu sehr von der Sonne verleiten und vergessen, die Handschuhe anzuziehen oder haben die Jeans anstelle der Schneehose an. Temperaturen unter -20°C machen sich aber schnell unangenehm bemerkbar, wenn die Kleidung nicht angemessen ist. Wir gleichen das durch mehrere Aufwärmphasen in Cafés oder Gebäuden aus. Von der Schule geht es zunächst zu einer Katholischen Kirche des Heiligen Don Bosco. Die von Missionaren gegründet Kirche gibt es seit über 20 Jahren und wird aktuell von einem Priester aus der Slowakei geleitet. Sie gibt katholischen Gläubigen aus Jakutsk eine Heimat und engagiert sich in der Sozialarbeit für Kindern und Jugendliche. Die Orgelmusik während der wöchentlich stattfindenden Gottesdienste kommt von einer Orgel aus Deutschland.

 

Das Stadtbild wird an vielen Stellen geprägt durch oberirdische Heiß- und Kaltwasserrohre. Im Permafrost kann keine Leitung unterirdisch verlegt werden. Auf dem Schild über den Leitungen steht: „Nicht betreten, Gefahr durch hohe Temperaturen“. Schnee und Eis scheint es nicht zu stören. Das spricht für eine gute Isolierung.  Auf der Hauptstraße, dem Lenin-Prospekt, begegnen uns Denkmäler und Eisskulpturen. Der Fischstand kommt bei den Temperaturen ohne Kühltruhe aus. Die steifgefrorenen Fische werden einfach in Kartons gestellt. Der Permafrost ist auch der Grund, warum sämtliche Gebäude auf Betonstählen gebaut werden. Unter den Gebäuden bleibt somit ca. 1m Platz, damit der Boden nicht durch die Wärme des Gebäudes auftaut und instabil wird. 

Nach einem Fotoshoot auf der Treppe des Regierungsgebäudes von Jakutsk betreten wir ehrfürchtig eine Russisch-Orthodoxe Kirche und nehmen 10 Minuten an einer Messe teil. Danach geht es in die „Alte Stadt“, die mit den Holzhäusern das alte Zentrum von Jakutsk darstellt. Die Holzhäuser haben sich in den vergangenen 388 Jahren seit der Gründung der neuen Zeit angepasst. Sie beherbergen eine Diamant- und Energiebank, Läden von modernen Mode- und Uhrenmarken oder einen Irisch Pub. Im größten Gebäude am Platz befinden sich verschiedenen Schmuckläden, in denen unter anderem in Jakutsk gefunden und bearbeitete Diamanten gekauft werden können. Wir ziehen dann doch kleinere Mitbringsel aus einem Souvenirgeschäft vor. 

Nach einer Mittagspause in einem Einkaufszentrum werden wir gemeinsam mit den russischen Austauschpartnern und der Schulleiterin vom Sacha-Gymnasium in der Stiftung Charyskal empfangen, die sich in ganz Jakutien um soziale und inklusive Projekte für Menschen mit Behinderungen kümmert. Die inklusive Theatergruppe „Algys“ wurde im vergangenen Jahr von dem Ehepaar Lena und Gernot gegründet. Gernot ist gebürtiger Hamburger, Lena eine Theaterregisseurin aus Jakutien. Seit vielen Jahren engagieren sich beide in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung und waren 2017 auch schon mit einem inklusiven Theaterstück zu Gast in Hamburg. Wir sehen einen Ausschnitt aus dem aktuellen Stück „Aleph. Der Anfang“. Die Schauspieler spielen sich direkt in unsere Herzen, auch wenn nicht alle Schülerinnen und Schüler die auf russisch und jakutisch gesprochenen und gesungenen Passagen verstehen. Im Anschluss lernen sich alle bei kleinen zum Teil nonverbalen Spielen etwas näher kennen. Es werden weitere Brücken gebaut, die Wärme lässt das Eis tauen, was in diesem Fall nichts mit der globalen Erwärmung, sondern mit der Herzlichkeit der Menschen in Jakutsk zu tun hat. 

Tag 7: -29°C, Sonnenschein, blauer Himmel – bestes Wetter für einen Zoobesuch

Wenn auf dem Schulweg Barthaare und Kragenfell einfrieren, weiß man, dass die Temperatur weit unter -20°C beträgt. Vom Sacha-Gymnasium fahren wir an diesem Tag auf Einladung des Umweltministeriums von Jakutien mit einem gelben Schulbus in den ca. 50km vor Jakutsk gelegenen Zoo „Orto-Doydu“. Der Weg führt raus aus der Stadt, in die schneebedeckte Taiga, vorbei an Hügelketten und Dörfern mit Holzhäusern. An der Bezirksgrenze halten wir nach jakutischem Brauch an, um an eine heilige Stätte eine kleine Opfergabe zu legen, um die Götter und die Natur zu besänftigen und um einen guten Verlauf der Reise zu bitten. Leider prallen selbst an diesem Ort 2 Welten aufeinander – Tradition und Zivilisation in Form von Plastikmüll. Auch wenn sich in Russland mittlerweile der Müllproblematik gewidmet wird, werfen viele Menschen ihren Unrat einfach ohne nachzudenken in die Natur. Das selbst ein für die Jakuten heiliger Ort davon nicht verschont bleibt, macht traurig. Die Schülerinnen und Schüler nehmen es gelassen, die Plastikflaschen könnten ja eine moderne Form von Opfergaben sein. Bleibt zu hoffen, dass trotz der Gelassenheit ein kritisches Bewusstsein zur Müllthematik im 21. Jahrhundert bleibt und die richtigen Konsequenzen aus diesem Erlebnis gezogen werden.  

Angesichts der Temperaturunterschiede von -50°C im Winter und bis +40°C im Sommer ist es sicher nicht einfach, einen Zoo mit verschiedenen Tierarten zu betreiben. Der Zoo von Jakutsk http://zoo.ykt.ru ist auch eine Mischung von Auffang- und Rehabilitationsstation für verletzte oder zurückgelassene Tiere, die in Jakutien gefunden werden. Er nimmt auch exotische Tiere von Privatleuten auf, die nach der Anschaffung merken, dass sie den besonderen Anforderungen der Tiere nicht gerecht werden können. So beherbergt der Zoo eine Reihe von Tieren, die normalerweise nicht in der Permafrostregion anzutreffen sind. Die beiden Eisbären sind ein besonderes Pärchen. Der Eisbärenmann wurde im Zoo in St. Petersburg geboren und ist nach Jakutsk umgesiedelt worden. Die Eisbärin im Alter von 3 Monaten im Polarmeer gefunden und von Wissenschaftlern in den Zoo gebracht. Die beiden haben geheiratet und bereits zweimal Nachwuchs bekommen. Das jüngste Eisbärchen ist 3 Monate alt und zusammen mit der Mutter in einem abgeschirmten Bereich. Im Außengehege zieht nur der Eisbär seine Kreise. 

 

Nach dem Zoorundgang wärmen wir uns einem Café auf. Im Anschluss folgt ein Wettkampf, bei dem 2 Gruppen in 3 Wissen- und Geschicklichkeitsdisziplinen gegeneinander antreten. Eine inhaltliche Auswertung und Verknüpfung des Besuches mit dem Projektthema Klima folgt morgen. Nach der Rückkehr in der Schule ist das Programm beendet und Gastgeber und Gäste gehen in die Stadt oder nach Hause. 

Tag 8: Pflanzen für Klima und Völkerverständigung und eine Reise in die Vergangenheit

Der heutige Morgen begrüßt uns mit Temperaturen unter -30°C. Ein eisiger Dunst schwebt über den Straßen. Bei richtiger Kleidung und Bewegung ist die trockene Kälte aber nicht unangenehm. Im Laufe des Tages steigen die Temperaturen bei strahlendem Sonnenschein auf nur noch -12°C. Für einzelnen Schüler vom Sacha-Gymnasium ist das schon genug, um in der Pause mal kurz auf dem Schulhof ohne Jacke im Schnee zu toben. Für Anfang März sind diese Temperaturen in Jakutsk höher als in vergangenen Jahren. Sobald die Sonne scheint, erwärmt sich die Umgebung stärker als früher, ein Zeichen des globalen Treibhauseffekts? Die Themen Treibhauseffekt, Erderwärmung und Klimawandel stehen im Zentrum des heutigen Vormittags in der Schule. Auf Deutsch, Englisch und Russisch werden die deutschen und russischen Schülerinnen und Schüler zunächst auf die Thematik eingestimmt. Sowohl die Schüler vom Sacha-Gymnasium als auch die Hamburger Teilnehmer bringen bereits eine Reihe von Kenntnissen zur Problematik mit. Die große Frage am Ende der Gesprächsrunde lautet: Was können wir tun? 

 

In einer anschließenden Gruppenarbeit erhalten die Schülerinnen und Schüler dann die Möglichkeit, sich kreativ mit der Thematik zu beschäftigen. Auf Plakaten stellen sie ihre ganz persönlichen Gedanken und Vorschläge zum Klimawandel zeichnerisch und in Worten dar. Es ist schön zu beobachten, wie trotz der Sprachbarrieren eine sehr engagierte Zusammenarbeit stattfindet. Es gibt zwischendurch durchaus auch mal Unstimmigkeiten, die dann zunächst in der jeweiligen Muttersprache unter den deutschen bzw. russischen Teilnehmern diskutiert werden. Im Laufe der Arbeit finden beide Gruppen aber immer wieder zusammen, zum Teil mit Übersetzungshilfe, auf Englisch oder durch Gesten. Nach der ca. 2,5 stündigen Arbeit sind die Vorschläge und Gedanken auf mehreren sehr unterschiedlichen Plakaten zu sehen. Die Ergebnisse werden dann am Donnerstag von den Gruppen präsentiert.  

Vor der Mittagspause kommt die Kunstlehrerin Marianna mit ihrer Umweltklasse in die Bibliothek. Gemeinsam mit den Projektteilnehmern werden Blumensamen aus Hamburg und Jakutsk in vorbereitete Schalen gesetzt. Die Umweltklasse wird die Saat in den kommenden Wochen pflegen und gießen. Im Sommer kommen dann hoffentlich viele bunte Blumen heraus. Diese interkulturelle Pflanzaktion gegen Klimawandel und für Frieden und Völkerverständigung ist angesichts der globalen Probleme und Konflikte von großer symbolischer Bedeutung und wird von den Schülerinnen und Schülern mit Freude angenommen. Ach könnte doch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit immer so einfach sein. 

Im erst am 4. Januar eröffneten Retro-Museum der Stadt Jakutsk machen wir eine Reise in die Vergangenheit. Anhand von vielen Ausstellungsstücken aus den Zwanziger bis Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts begeben wir uns in die Gesellschaft der Sowjetunion. Liebevoll restaurierte Automodelle, Spielsachen, Möbel und technische Kleingeräte sind von Sammlern im 9. Stock eines Hochhauses in einem Neubaugebiet zu einer eindrucksvollen Ausstellung zusammengeführt worden. Unter den Oldtimer sind auch einige Ford- und Opelmodelle. Bevor in der Sowjetunion die Autoindustrie aufgebaut wurde, kamen erste Fahrzeuge von Ford aus Amerika. Die Opelmodelle sind Kopien und Nachbildungen, die zum Teil aufgrund von Reparationsleistungen nach dem 2. Weltkrieg in der Sowjetunion hergestellt werden konnten. Es befinden sich auch einige amerikanische Armeejeeps in der Sammlung. Während des 2. Weltkrieges hatten die Amerikaner einige Luftlandebasen in Jakutien, die Bestandteil der ALSIB-Route zwischen Alaska und Sibirien waren, auf der unter anderem Technik und andere Waren an die Ostfront gebracht wurden. 

 

Mit einer deutschen und einer russischen Schülerin nehmen die Schulleiterin und ich am Abend noch an einer Aufzeichnung für einen Radio-Podcast eines jakutischen Senders teil. In einem zwanzigminütigen Interview werden Fragen zum Austauschprojekt beantwortet. Der Podcast wird auf YouTube veröffentlicht. Hier der Link zu dem Podcast: http://nvk-online.ru/new/yakutiya-v-mire-obrazovatelnyj-proekt-obedinivshij-yakutsk-i-nemetskij-gamburg/

 

Ein weiterer ereignisreicher Tag geht zu Ende. Am Abend ist die Temperatur wieder auf -20°C gesunken. Das beleuchtete Jakutsk lädt trotzdem zu einem Spaziergang ein. 

Tag 9: Nach Klimawandel und Erderwärmung 12m tief hinunter in den Permafrost

„Kleine Veränderungen können Großes bewirken“. Das ist sinngemäß die zentrale Aussage einer Projektgruppe bei der heutigen Präsentation der Arbeitsergebnisse. Auf ganz unterschiedlich gestalteten Plakaten haben die deutschen und russischen Schülerinnen und Schüler ihre Sicht auf die Themen Klimawandel, Erderwärmung, Plastikmüll und Massentierhaltung dargestellt. Auf Deutsch, Russisch und Englisch beschreiben sie den aktuellen besorgniserregenden Zustand unseres Planeten und nennen und erläutern notwendige Maßnahmen und Verhaltensänderungen. Nicht alle Forderungen können für alle Regionen auf unserem Planeten gleichermaßen gelten. So ist es eher unwahrscheinlich, dass sich in Jakutien aufgrund des extremen Klimas Elektrofahrzeuge durchsetzen werden. Auch ist ein Verzicht auf Fleischprodukte zumindest in den kalten Wintermonaten eher unwahrscheinlich. Ein Umdenken kann aber auch hier stattfinden. Anstelle von reinen Elektrofahrzeugen stellen hier eventuell Wasserstoffantriebe eine Alternative dar. Gegen den Plastikmüll wird von mehreren Schülern ein Pfandsystem für Flaschen eingefordert. Da es in der Sowjetunion ein gut funktionierendes Pfandsystem gegeben hat, sollte eine entsprechende Einrichtung kein größeres Problem sein. Es müsste nur die Frage geklärt werden, was mit dem Plastik passieren soll, wie und zu was es recycelt werden kann. Hier sind sicher noch innovative Ideen gefragt. Durch die Gruppenarbeit ist allen klar geworden, worin die besonderen Herausforderungen für ein nachhaltiges Leben auf unserem Planeten im Einklang mit Natur und Umwelt liegen. Das es sich vorrangig um Probleme handelt, die globalen Lösungen erfordern, ist die länderübergreifender Meinungs- und Ideenaustausch wie bei unserem Projekt „МосТТы – Brücken zum Klimadialog“ schon mal ein wichtiger und wegweisender Anfang. 

Im Institut für die Erforschung des Permafrostes begeben wir uns am Nachmittag in einen 12m tiefen Stollen, direkt in den gefrorenen Permafrostboden hinein. Vorbei an Fundstücken aus der Region wie Schädel und Knochen von Mammuts und anderen längst ausgestorbenen Tieren gelangen wir in die Welt der Eiskristalle. Hinter einer Staubschicht ist die Erde in dem Stollen steinhart gefroren. Die Temperatur in 12m Tiefe beträgt konstant -11°C. Aufgrund einer recht hohen Luftfeuchtigkeit kommt es einem jedoch etwas kälter vor als die -20°C an der Oberfläche. In den Sommermonaten taut der Permafrostboden in Jakutien bis zu 1,5m auf. Darunter bleibt ganzjährig steinhart gefrorene Erde. Eine weitere Klimaerwärmung würde zu einem Auftauen der tieferen Schichten führen. Ein Austrocknen des Bodens wäre die Folge, sodass sich Jakutsk und Umgebung zu einer kalten Wüste verwandeln würde und kaum noch als Lebensraum genutzt werden kann. Eine eher düstere Aussicht für die Bewohner. Die besonderen Folgen der globalen Erwärmung unseres Planeten für die Permafrostregion sind in dem Stollen deutlich geworden. Die Schönheit und Einzigartigkeit der Eiskristalle an Decke und Wänden bleibt bei vielen sicher in positiver Erinnerung. Es gibt so viele schöne, faszinierende und erhaltenswerte Dinge auf der Erde. Wir sollten aufhören, sie und somit unseren Lebensraum weiter zu zerstören. Sonst enden wir womöglich so wie die Mammuts vor über 10.000 Jahren. 

Tag 10: Butterfest, Debatten, Mantras, Präsentationen – eindrucksvolle Vielfältigkeit

Der Tag beginnt mit einer kleinen „Feierstunde“ zum Masleniza-Fest. Dieses Butterfest ist eine ostslawische Tradition, mit der eine Woche lange das Ende des Winters gefeiert wird. Neben musikalischen Einlagen, wie dem Spiel mit 2 Holzlöffeln, werden wir von Schülerinnen und Schülern der Klasse 8 und ihrer Klassenlehrerin in traditioneller Kleidung mit typischen russischen Pfannkuchen bewirtet. 

„Handy-Nutzung - im Unterricht, ja oder nein?“. Jeweils eine Schülerin vom Sacha-Gymnasium und ein Schüler der Gyula-Trebitsch-Schule bilden eine Gruppe, die nach den Regeln der Debattenkultur auf Deutsch (ähnlich dem Jugend debattiert – Reglement) ihre Pro- und Contra-Argumente austauschen. Eine Jury, besetzt aus 2 Schülerinnen aus Hamburg, bewertet Gesprächsführung und Qualität der Argumente. Angesichts der Kürze der vorgegebenen Zeit fehlt es etwas an inhaltlicher Tiefe. Es ist aber bemerkenswert, dass trotz der vorhandenen sprachlichen Hürden ein Austausch von Argumenten in Debattenform möglich ist. 

Die Debatte ist dann auch das verbindende Element zu unserem nächsten Programmpunkt. Wir besuchen das nördlichste Buddhistische Zentrum der Welt, den Dazan in Jakutsk. Das 2009 von Burjatischen Mönchen gegründet einzige Buddhistische Kloster im Permafrost lädt täglich zu Zeremonien und Meditationen ein. Die dort untergebrachten Mönche werden von dem Lama auch in der Kunst des Debattierens unterwiesen. Bei der Debatte im Buddhismus geht es nicht darum, jemandem mit schlauer Logik eine Niederlage beizubringen. Sie dient vielmehr dazu, den Schülern zu helfen, ein klareres Verständnis zu gewinnen, sodass sie in der Meditation keine Zweifel haben. Jeder Schüler in der Klasse fordert einen Klassenkameraden dazu auf, seinen Standpunkt zu verteidigen, indem er ihm Fragen stellt und etwaige Widersprüche in dessen Antworten aufzeigt. Am Ende ziehen beide einen Nutzen daraus. Auch wenn wir leider keine Debatte und auch keine Zeremonie miterleben, bei unserer Ankunft ist gerade eine Pause für individuelle Unterweisungen durch den Lama, nimmt sich doch ein Mönch unserer an und führt uns in die Welt des Buddhismus ein. Ein Höhepunkt des Gespräches ist ohne Zweifel ein in Kehlkopfsprache vorgetragenes Mantra. Halbwegs erleuchtet verlassen wir den Tempel und fahren mit dem Taxi zum Klassischen Gymnasium.

Nach einer herzlichen Begrüßung mit Oladuschki (kleine russische Pfannkuchen) und einem Mittagessen in der Mensa, mischen sich einige unsere Schülerinnen und Schüler spontan in der Sporthalle unter eine Volleyballmannschaft und spielen einige Minuten mit. Sport kennt keine Sprachbarrieren, Sport ist international, man macht einfach mit. In der Bibliothek stellen uns mehrere Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Klassen auf Deutsch ihre Präsentationen zu den Themen Klimawandel, Erderwärmung, Plastikmüll und Massentierhaltung vor. Im Anschluss folgt ein Kennlernspiel, das von allen sehr engagiert angenommen wird. Auch dieses Treffen ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wir schnell Jugendliche eine gemeinsame Sprache finden und in einen Austausch treten. Es sind so weitere Brücken entstanden. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto treffen sich unsere Schüler mit ihren Gastgebern. Am Abend ist unter anderem ein gemeinsames Fußballspiel geplant. Auf dem abendlichen Nachhauseweg komme ich zufällig an einem kleinen Holzdenkmal vorbei, das die Problematik des Umgangs mit unserem Planeten anregend zeigt. „Säge nicht an dem Ast, auf dem du sitzt!“

 

Tag 11: Schwitzen am Lena-Felsen

Der Naturpark Lena-Felsen liegt ca. 180km südwestlich von Jakutsk und gehört seit 2012 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Der Park erstreckt sich auf einer Fläche von ca. 4850km2 und die Felsen erreichen eine Höhe von bis zu 300m. Der Park ist ein beliebtes Ausflugsziel und kann im Sommer mit Kreuzfahrtschiffen auf dem Wasserweg erreicht werden. Im Winter führt die Eisautobahn über die Lena zu den Felsformationen. Wir verlassen die Schule morgens um 08:00 Uhr in einem weißen Schulbus. Bei bedecktem Himmel und sehr milden Temperaturen von nur noch -10°C liegt eine ca. vierstündige Fahrt durch die Taiga vor uns. Die Stimmung im Bus ist gut, es wird Musik gehört, zum Teil wird auf Russisch, Deutsch und Englisch mitgesungen. Kurze Pausen werden sofort genutzt, um sich in Schneeberge zu werfen. Der fehlende Winter in Hamburg scheint sich nachhaltig auszuwirken. Die Toilettenpausen kosten einige Überwindung. Die Plumpsklos mit einfachem Loch im Boden, mit gefrorenen Hinterlassenschaften vorheriger Toilettenbesucher und schwer zu ertragenem Gestank zwingen einige dazu, den nächsten Baum oder das nächste Gebüsch vorzuziehen. Mitten in der Taiga muss man auch mal auf etwas verzichten können. Nach ca. 2,5 Stunden fahren wir mit unserem Bus auf die Lena. Es folgt wieder das Opferritual, mit dem wir den Fluss und die Götter um Erlaubnis für die Fahrt und einen problemlosen Verlauf bitten. Zunächst noch in Ufernähe verläuft die Eisautobahn kilometerlang vorbei an Felsformationen und kleinen Dörfern. Wir halten an einer Stelle, an der urzeitliche Höhlen in den Felsen besichtigt werden können. Vor der Höhle ist ein „Wunschbaum“ aufgestellt, an dem viele bunte Bänder mit guten Wünschen angebunden sind. Aus der Höhle heraus offenbart sich ein eindrucksvoller Blick auf die Lena. Die milden Temperaturen und der bevorstehende Feiertag, der internationale Frauentag, haben viele Besucher auf die Lena und zu den Lena-Felsen gelockt. 

Bevor wir die Lena mit unserem Bus überqueren, halten wir zu einer Mittagspause in der Dorfschule des Ortes Tumul, direkt am Lena-Ufer. Die kleine Schule mit aktuell 30 Schülerinnen und Schülern, verteilt auf die Klassen 1-7, und 10 Lehrkräften stellt uns ihre Schulkantine für unsere Mittagspause zur Verfügung. Der lackierte Holzboden und die kleinen Klassenräume, in denen zum Teil auch ein interaktives Whiteboard hängt, sorgen für eine besondere Lernatmosphäre. Anwesende Schülerinnen begrüßen uns herzlich und freuen sich über ein Foto mit den Gästen aus Deutschland. Die Schulleiterin vom Sacha-Gymnasium, Valentina Sofroneeva bedankt sich mit einem kleinen Buchgeschenk für die Gastfreundschaft. Würde es diese Schule nicht geben, würde das Dorf wohl aussterben, da junge Familien mit Kindern in größere Ortschaften umziehen müssten. Es ist schön, dass es noch so kleine Schulen gibt. 

Nachdem wir uns gestärkt haben, fahren wir mit unserem Bus über die Lena zum Eingang in den Naturpark Lena-Felsen. Der Parkplatz auf dem Eis ist bereits gut gefüllt. Es gibt Schaschlik-Grills und kleine Café-Zelte. In den vergangenen Jahren hat der Tourismus in dieser Region zugenommen, darauf wird sich immer mehr eingestellt. Als angemeldete Gruppe müssen wir uns nicht in die Schlange am Eingang stellen. Der schmale Weg zum „Gipfel“ führt durch einen Wald, in dem auf Schildern vor wilden Tieren gewarnt wird. Da die Bären noch Winterschlaf halten, besteht vermutlich keine Gefahr. Auf rutschigen Holztreppen und zum Teil steilen Passagen geht es ca. 200m hinauf. Die deutsche Sprache weckt die Aufmerksamkeit der anderen meist einheimischen Besucher und führt zu kurzen Fragen nach unserer Herkunft und zu freundlichen Gesten. Auch Selfies mit einigen von uns werden gerne genommen. Es sind schöne und hoffnungsvolle Begegnungen gelebter Völkerverständigung, die wir hier fernab der Zivilisation erleben. Da wir uns auf niedrigere Temperaturen eingestellt haben, kommen wir angesichts der mittlerweile warmen -7°C und der Anstrengung beim Aufstieg ganz schön ins Schwitzen. Oben auf dem Gipfel eröffnet sich uns ein Blick auf die Lena und das gegenüberliegende ca. 6km entfernte Ufer. Schroffe schneebedeckte Felsen vervollständigen das Bild zu einer urigen, beeindruckenden Landschaft. Der Wind lässt uns nach dem anstrengenden Aufstieg wieder etwas abkühlen. Es werden viele Fotos gemacht und unberührte Schneeflächen laden unsere Schülerinnen und Schüler ein, hier Spuren zu hinterlassen. Sie gehören jetzt zu einer wohl noch recht überschaubaren Gruppe von Hamburgern, die diesen Lena-Felsen besucht haben.  Nach einem rutschigen Abstieg, mit einigen lustigen Szenen, treffen wir uns wieder unten am Parkplatz. Eine ca. 50m lange Eisrutsche lädt zum Rodeln auf die Lena ein. Als kleines Dankeschön legen sich die Schülerinnen und Schüler zu dem Wort LAUT in den Schnee auf der Lena. Die Firma LAUT https://www.itslaut.eu  hat das Programm unseres Austauschprojektes finanziell unterstützt. Letzte Fotos werden geschossen und nach einem ca. zweieinhalbstündigem Aufenthalt in dem Naturpark betreten alle unversehrt und erfüllt von unvergesslichen Erlebnissen den Bus. 

Auf der Rückfahrt wird wieder gesungen, einigen fallen die Augen zu und das ein oder andere Toilettenerlebnis wird sicher auch noch länger in Erinnerung bleiben. Bei flockigem Pulverschneefall fahren wir nach fast vierstündiger Fahrt in das abendliche Jakutsk ein. Von der Schule geht es in die Gastfamilien. Mit diesem Ausflug endet das gemeinsame Programm dieses Austausches. Der Sonntag, der internationale Frauentag, wird in den Gastfamilien verbracht. Es sind verschiedene Unternehmungen geplant. 

 

Die Gruppe trifft sich dann erst wieder am Montagmorgen im 06:15 Uhr am Flughafen. Von dort geht es in einem siebenstündigen Flug zurück nach Moskau. Da wir dort dann voraussichtlich 10 Stunden Aufenthalt haben, wollen wir die Zeit für einen Abstecher zum Roten Platz und zum Kreml nutzen. Um 19:55 Uhr Ortszeit geht es dann auf die letzte Etappe der Reise von Moskau nach Hamburg. Der nächste und dann auch letzte Blog-Eintrag wird dann erst aus Hamburg erfolgen.  

Tag 12: Internationaler Frauentag – Blumenbusse und Familienausflüge

Mit dem Feiertag am 8. März wird in Jakutsk endgültig der Frühling eingeläutet. Da sich die Natur bei -20°C noch im Winterschlaf befindet, werden die Blumen für die Frauen per Flugzeug aus wärmeren Ländern nach Jakutsk gebracht. Der Verkauf findet dann in zu Blumenläden umfunktionierten Bussen statt, die am 7. und 8. März das Stadtbild von Jakutsk prägen. Ein kleiner Strauß kostet dann angesichts der Transportkosten schnell mal 20 Euro. Die Schülerinnen und Schüler verbringen den heutigen Tag mit ihren Familien. Ich fahre mit der Schulleiterin auf die Datscha einer Russischlehrerin, die sich etwas außerhalb von Jakutsk befindet. Während die Frauen mit einer Tasse heißen Tee den Feiertag zelebrieren, befreie ich mit dem Ehemann der Lehrerin die Datscha von dem noch tiefgefrorenen und somit leichten Pulverschnee. Wenn das Tauwetter einsetzt und der Schnee nass und schwer wird, ist diese Aktivität ungleich anstrengender. Nach einer kleinen Stärkung, bei der gegorene Kuhmilch und gefüllte Piroggen nicht fehlen dürfen, fahren wir zurück in die Stadt. Am Abend besuchen wir dann noch ein Konzert der Popsängerin Elena Temnikova, die in Russland aus verschiedenen Fernsehshows bekannt ist und 2007 mit dem Trio Serebro für Russland am Eurovision Song Contest teilgenommen hat. Nicht viele Stars nehmen den weiten Weg nach Jakutsk auf sich und so ist es nicht verwunderlich, dass sich 6000 zumeist junge Besucherinnen und Besucher in der großen Sporthalle des Sportzentrums Dochsun versammeln. Als die Sängerin dann die Bühne betritt werden anstatt klatschender Hände tausende Handys in die Höhe gestreckt.  Ich frage mich, ob man nicht nur mal den Moment genießen kann, ohne hunderte Fotos und Videos zu machen, die sich hinterher sowieso keiner mehr anschaut. Die Jugend scheint anderer Meinung. Die Stimmung ist trotzdem gut, es wird mitgesungen und getanzt. Auch wenn mich die Musik nicht unbedingt überzeugt, ist es doch eine schöne Erfahrung. Auf dem ca. 30minütigen Fußweg durch das nächtliche Jakutsk nehme ich ein weiteres Mal Abschied von dieser Stadt, die durch diverse Austausch- und auch private Besuche in den vergangenen 7 Jahren einen besonderen Platz in meinem Leben eingenommen hat. Bei sternenklarem Himmel, Vollmond und -27°C strahlt die Stadt eine friedliche Atmosphäre aus. Diese Stadt der Extreme im Fernen Osten Russlands ist immer wieder eine Reise wert. Russland zählt insgesamt zu den vielfältigsten und faszinierendsten Ländern unseres Planeten. 

Rückflug aus der Kälte in den Moskauer Frühling

Um 06:00 Uhr morgens treffen wir uns alle am Flughafen Jakutsk. Das morgendliche Thermometer zeigt -32°C, es scheint, als möchte sich auch der Permafrost gebührend von uns verabschieden. Wir haben während der vergangen 12 Tag so viel Wärme und Herzlichkeit von den Gastfamilien erfahren, dass uns die Temperaturen nichts mehr ausmachen. Viele Schülerinnen und Schüler äußern etwas Wehmut angesichts der bevorstehenden Rückreise, sie freuen sich aber auch auf ihre Familien in Hamburg. Nach Abgabe des Gepäcks folgt der Abschied, bei dem die ein oder andere Träne fließt. Es ist ja kein Abschied für ewig. Der Gegenbesuch der jakutischen Schülerinnen und Schüler ist für Herbst geplant. Vom Wartesaal aus können wir noch einen beeindruckenden Sonnenaufgang über dem Flughafen Jakutsk erleben. Dann machen wir es uns im Flugzeug gemütlich. Vor uns liegt ein ca. siebenstündiger Flug gegen die Uhr. Abflug in Jakutsk um 08:20 Uhr, Ankunft in Moskau um 09:30 Uhr, beides Ortszeit, versteht sich. 

 

Am Flughafen Scheremetjewo in Moskau empfangen uns mein Freund und Kollege Yuriy und seine Frau. Ich habe Yuriy im vergangenen Sommer bei einer internationalen Lehrerfortbildung am CERN in Genf kennengelernt. Er ist nun mit seiner Frau extra aus dem über 1000km entfernten Glasow angereist, um mit uns einige Stunden in Moskau zu verbringen. Dafür haben sie eine 16stündige Fahrt mit dem Zug auf sich genommen. So etwas gibt es nur in Russland. Wir fahren mit dem Flughafen-Express zum Weißrussischen Bahnhof und von dort mit der Metro zum Roten Platz. Ähnlich wie bereits die deutsche Hauptstadt auf unserer Hinreise begrüßt uns auch die russische Hauptstadt mit frühlingshaftem Wetter und Temperaturen um +12°C. Als hätten sich beide Städte abgesprochen. Die Gemeinsamkeiten und das gegenseitige Verständnis zwischen Russland und Deutschland sind größer, als uns die westlichen Medien oftmals schwarzmalen wollen.

Unser Rundgang führt uns über den Roten Platz, vorbei an der Kremlmauer und zur Basilius-Kathedrale. Am Denkmal für die Opfer des 2. Weltkrieges erleben wir einen Wachwechsel und halten kurz inne. Ein großes Plakat an einer Häuserwand erinnert daran, dass sich das Ende des grausamen Krieges in diesem Jahr zum 75. Mal jährt. Nach der Mittagspause in einem Restaurant in der bekannten Fußgängerzone „Arbat“ besuchen wir noch die monumentale Christ-Erlöser-Kathedrale und beenden unseren kleinen Moskau-Rundgang auf der Brücke über die Moskwa. Moskaus Architektur ist voller Gegensätze. Kleine Kirchen mit goldenen oder farbigen Zwiebelkuppeln vor Hochhäusern im Plattenbaustil, das gewöhnungsbedürfte Denkmal für Peter I. und der noch stehengelassene Weihnachtsschmuck auf Plätzen und Brücken bei frühlingshaftem Wetter erzeugen eine etwas merkwürdige aber irgendwie auch sympathische und entspannte Atmosphäre. Es fehlen die vielen Touristengruppen aus China und anderen Ländern, die sonst zu Moskau gehören. Das Corona-Virus hinterlässt auch hier seine Spuren, auch wenn das Riesenreich Russland bisher weitgehend verschont geblieben ist.

 

Pünktlich um 19:55 Uhr Ortszeit fliegen wir in den Abendhimmel über Moskau. Ein weiteres Austauschprojekt zwischen Hamburg und Jakutsk geht zu Ende. Es sind neue Brücken zwischen den beiden Ländern, den beiden Städten, den beteiligten Schülern und Lehrkräften entstanden, die für die Bewältigung der globalen Herausforderung so wichtig sind. Reale Begegnungen und Erlebnisse in den jeweiligen Ländern fördern die interkulturelle Kompetenz, die Völkerverständigung und sind somit ein Fundament für ein friedliches Miteinander. 

 

Ich danke der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, der Behörde für Schule und Berufsbildung und der Firma Laut für die finanzielle Unterstützung dieses Austauschprojekts. Der Gegenbesuch ist für Herbst 2020 geplant. Dann wird hier wieder über die Aktivitäten berichtet. 

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